Der längste Tag

in Stadtoldendorf

am 19./20. Juni 2010

Georg ist schuld. Und Sabine. Sigi sowieso. Und Heinrich natürlich. Und je länger ich drüber nachdenke...

Aber fangen wir vorne an. Im April 2000 war es. Sage ich jetzt mal. Also, ungefähr zu der Zeit. Da schrieb ich Georg, ich wolle im August in Monschau meinen ersten Marathon laufen. Und ob er mit wolle. Wollte er.
Und dafür war ich dann mit ihm im Februar 2001 in Bad Salzuflen. Wo ich dann Sabine traf. Vielleicht war das aber auch erst 2002. Ihr Lauftreff jedenfalls, die SSG Marienau, startete beim 24-Stunden-Lauf in Stadtoldendorf als Staffel. Und ich mit. Das war 2002 sehr nett, und 2003 auch. Ich lernte die ganze SSG kennen. Unter anderem Sabines Bruder Andreas und den von der SSG veranstalteten Ithberglauf. In den nächsten Jahren hatte ich andere Läufe, zum Beispiel in Biel und in Lappland, oder unsere Staffel kam nicht zustande. Aber dafür kam die Idee, es doch mal alleine zu probieren. 2008 veranstaltete Sigi dann einen 24-Stunden-Spendenlauf, und ich war dabei. 142 km standen nachher für mich auf der Uhr. Einerseits ganz passabel, andererseits hatte ich zwei Stunden vor Schluss kraft- und vor allen Dingen lustlos aufgehört. Da muss doch mehr drin sein, oder?

So kam ich dann 2009 nach Stadtoldendorf. Zeitgleich mit der Deutschen Meisterschaft fand auf der 400-Meter-Innenbahn der übliche Wettkampf statt: Einzelstarter und Staffeln, Kinder und Erwachsene, alles bunt gemischt. Und ich dabei. Denn ich wollte die 400m-Bahn bezwingen. Aber - sie bezwang mich. Kurz nach Mitternacht verlor ich die Motivation und ging schlafen. Morgens reichte es dann nur noch um die 100 km voll zu machen. Da half auch die Unterstützung durch Andreas und Georg nicht. Ein Desaster.

Aber immerhin hatte ich mal wieder ein paar nette Leute kennen gelernt. Zum Beispiel Stefan und seine Schwester Katrin, die als Staffelläufer starteten und mich ab und an begleiteten.

Beim Rheinsteiglauf 2010 erzählte mir Heinrich dann vom STUNT100. Ende Juli/Anfang August. 100 Meilen am Stück, die Strecke schon mal schlecht markiert, verlaufen besonders in der Nacht fast garantiert, fast 4000 Höhenmeter - viel versprechend! Ich schaute auf die Webseite, aber die 25 Startplätze waren schon vergeben :-(

Beim Eifelsteiglauf. kam das Thema wieder auf. Heinrich meinte, man käme bestimmt noch auf die Starterliste. Auf der Warteliste standen 3 Leute - ist das viel oder wenig? Letztendlich haben wir uns angemeldet - und warteten.

So bekam der Lauf Ende Juni in Stadtoldendorf auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Hier würde ich mir zeigen, dass ich 100 Meilen laufen kann. Freitags nach der Arbeit ging es los. Stefan war dieses Jahr irgendwie vom Laufen abgekommen, aber Katrin wollte bei diesem Heimspiel ihren ersten Marathon laufen - ganz ohne Zeitdruck. Wir bauten zusammen ein Zelt auf. Mit Isomatte und Schlafsack - für den Notfall. Mit Kaffee und Kuchen, Cola und Gummibärchen, Sekt und Salat. Mit 1000 Klamotten zum Wechseln, Hosen und Shirts, kurz und lang, Schuhe, Armlinge, Handschuhe, ...

Zeltstadt
Zeltstadt

Das Meiste haben wir nachher unbenutzt wieder eingepackt.

Kurz vor 14 Uhr versammelten wir uns am Start und mit leichter Verspätung ging es um 14:05 Uhr los. Katrin und ich liefen lange zusammen. Mit ungefähr 6:30 min/km war das Tempo für uns beide okay und ich kam nicht in Gefahr, zu schnell zu laufen. Wir kannten beide viele MitläuferInnen, aber Katrin blieb auch mal am Rand stehen. So hatte ich bald ein, zwei, drei Runden mehr, aber wir fanden uns immer wieder. Ihr Ziel war: Erst mal Marathon, und dann mal sehen. Den Marathon hatte sie dann kurz nach 20 Uhr geschafft - und lag auf dem zweiten Platz bei den Frauen. Auch ich lag nicht schlecht. Dritter, Vierter, Fünfter? Nicht wirklich wichtig, denn das Rennen würde sich nicht am Samstag entscheiden, das war klar.

Katrin und Helmut
Katrin und Helmut

Das Wetter war ganz in Ordnung, jedenfalls für uns LäuferInnen. Kaum Sonne, aber auch nicht wirklich kalt. Manchmal nieselte es, manchmal wurde der Regen auch stärker. Diese 5 Minuten nutzte ich dann für eine kurze Pause, verbunden mit einem Kaffee und etwas Nudelsalat. Den konnte ich wirklich gut essen. Die vielen Kekse, Erdnüsse, Salzbrezeln und der Kuchen blieben unangetastet.

Auch Mirko kannte ich noch vom letzten Jahr. Leistungsmäßig lagen wir nah beieinander, aber sind nur wenig zusammen gelaufen.
Schade eigentlich...

Norbert und Mirko
Norbert (362) und Mirko (360)

Brigitte lag wie im Vorjahr deutlich vorne. Unterwegs stellten wir fest, dass wir uns beim STUNT wieder sehen würden. Da freue ich mich schon drauf.
Katrin erzählte mir, dass Tobias deutlich abgenommen hat und jeden Tag mit dem Rad von Stadtoldendorf zur Arbeit nach Holzminden fährt. Kurz danach kam ich mit Tobias, den ich bisher nicht kannte, ins Gespräch. Er war schon oft am Rursee und auch in Aachen - so schnell findet man Gemeinsamkeiten.

Gegen Abend wurde es einsamer. Tobias ging nach Hause, versprach aber, morgens wieder zu kommen. Katrin blieb noch etwas, lief aber nicht mehr, sondern quatsche hier und da oder saß einfach da und schaute sich das muntere Treiben an. Aber irgendwann wurde es auch ihr zu kalt und sie verschwand in ihr warmes Bett.

Es wurde dunkel, die Musik leiser, ...
Übrig blieben die, die wirklich 24 Stunden laufen wollten. Sowohl Einzelläufer als auch Staffeln.

Ich lag auf Platz 4 oder 5, aber es war sehr eng. 5 Läufer, die nur 5 Runden auseinander waren. Die Nacht würde hier eine erste Entscheidung bringen. Ich zog einsam meine Runden und hatte auch eine recht schnelle Phase. Auf einmal lag Mirko 10 Runden hinter mir - dabei war er um Mitternacht noch vor mir gewesen. Ungefähr um 3:30 Uhr hatte ich die 100 km voll.

Mirko hatte wohl eine Krise. Als er um kurz nach 4 die 100 km voll machte, war ich gerade in seiner Nähe. Er blieb stehen. Nur 10 km in den letzten 2 Stunden, das war ihm zu wenig. Dabei hatten wir noch fast 10 Stunden Zeit. Er bat mich, für uns beide zu laufen und ging schlafen. Brigitte zog ihre Runden, schlief aber irgendwann auch mal eine Stunde. Peter war 30 Runden vor mir und verzichtete auch auf seinen Nachtschlaf. So war er uneinholbar für mich. Aber alle anderen hatte ich im Laufe der Nacht überholt und als es hell wurde, hatte ich einen komfortablen Vorsprung von 50 Runden auf den Dritten.

Die bisherigen Regengüsse hatte ich zu kurzen Esspausen genutzt. Nun fing es wieder an zu regnen, aber ich wollte keine Pause machen. Meine Laune war sowieso nicht die beste. Nicht geschlafen, kalt und Regen...
Ich haderte mit mir, blieb aber auf der Bahn und irgendwann wurde es besser. Der Regen hörte auf, es wurde heller, die Bahn wurde voller, die Staffelteams bekamen Zuwachs, der Sprecher nahm um 6 Uhr wieder das Mikrofon in die Hand, die Musik wurde lauter und besser. Und ich hatte wieder richtig gute Laune.

Ute hatte sich zu Beginn der Nacht bis auf 4 Runden an Katrin heran gekämpft. Katrin wollte nur einen Marathon laufen, lag so aber auf Platz 2, als sie morgens wieder kam. Laufen konnte sie nicht mehr, aber sie fing an, Runden zu gehen und schaffte bis zum Ende noch 68 Runden. Aber Ute wollte sie unbedingt ein- und überholen und nahm ihr bis zum Schlusssignal noch 9 Runden ab.

Doris und Helmut
Doris und Helmut nach 19:20 Stunden

Tobias kam wieder auf die Bahn, wie versprochen. Mal unterhielt ich mich mit ihm, mal lief ich ein Stück alleine, fand andere Gesprächspartner, tänzelte zur Musik, was für ein schöner Tag. Meine Kräfte ließen langsam nach, aber die Laune blieb gut. Um 10 Uhr, 4 Stunden vor Schluss, trennte mich nur noch ein Halbmarathon von meinem Traumziel: 100 Meilen. Das sollte doch zu schaffen sein. Ich ging nun mehr als ich lief. Aber mein Körper fühlte sich, abgesehen von Beinen und Füssen, ganz gut an. Das änderte sich gegen Mittag. Nur noch 10 km, aber ich wurde so schwach. Keine Lust mehr zu reden - da muss es mir wirklich schlecht gehen. Aber ich ging!

Noch eine Stunde, noch 5 Kilometer.
Noch 30 Minuten, noch gut 2 Kilometer.
Ich will aufgeben und setze mich hin. Etwas trinken, etwas essen.
Noch 3 Runden bis 160 km, 400 Runden - zumindest das muss doch drin sein.
Ich springe auf und nehme den Kampf mir mir wieder auf.
Noch mal rechnen - eigentlich sind auch die 161,2 km (403 Runden) noch zu schaffen. Ich kann die letzte Runde auch nur halb machen, dann habe ich genau 161 km. Ich laufe noch mal eine halbe Runde und gewinne so wieder eine Minute. Ich weiß, ich werde es schaffen!
400 Runden, 160 km, geschafft. Und weiter! Mit stehen die Tränen in den Augen, vor Glück. Ich schaffe es!
401 Runden. Noch 1,5 Runden.
402 Runden. Noch 200 Meter. Wieder Tränen. Ich bin da, ich habe es geschafft!
Der Sprecher ruft alle LäuferInnen und alle Staffeln zu einer gemeinsamen Schlussrunde auf die Bahn. Ich bekomme nicht viel davon mit.
403 Runden. Brigitte will mit mir zusammen laufen, 100 m schaffe ich, dann lasse ich sie ziehen. Ich bin auf der Höhe unseres Zeltes, als das Signal ertönt. Ich lasse das Holz mit meiner Startnummer fallen, gehe zum Zelt und lasse mich auf den Stuhl fallen.

Geschafft, es ist geschafft, ich bin geschafft.

Siegerehrung
Siegerehrung

Katrin packt zusammen und baut das Zelt ab. Die Siegerehrung geht zügig und ich nehme Medaille und Urkunde in Empfang. Das Glücksgefühl der letzten Runden hat mich verlassen - ich bin platt.

Müde Sieger
Müde Sieger

Jetzt will ich nur noch duschen und ins Bett. Die Nacht war lang, aber unruhig.

Auch am nächsten Tag war ich noch müde, ausgelaugt, schlapp. Ich spürte meine Beine und meine Knie, aber mit ein paar Tagen Ruhe würde alles wieder okay sein.

Langsam stellt sich eine Zufriedenheit ein: STUNT - du kannst kommen!

 

Helmut



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