24-Stunden-Benefizlauf

in Hilden

am 25./26. Oktober 2008

Die taiwanesische Ultraläuferin Shu Jung Lu Chiu musste nach dem Ende des Trans-Gaule, einem Wettrennen über 18 Tage quer durch Frankreich, an beiden Beinen amputiert werden (der rechte Unterschenkel sowie die Zehen des linken Fußes), weil sie sich eine verheerende, lebensgefährliche Bakterieninfektion Nekrotisierende Fasziitis zugezogen hatte.

Zu ihren Gunsten gab es am 25./26. Oktober 2008 einen 24-Stunden-Benefizlauf.

Deshalb suchte ich erstmalig nach Sponsoren. Dabei dachte ich, diese würden für jeden Kilometer, den ich laufen würde, einen bestimmten Geldbetrag spenden. Manche mochten aber lieber einen festen Betrag geben. Denn ihnen (und auch mir) war überhaupt nicht klar, welche Kilometerleistung ich in 24 Stunden bringen würde.

Ich nahm mein eMail-Adressbuch und verschickte eine Mail an so ziemlich alle Leute die ich kannte:
- Lauffreunde aus Aachen, dem Rest von Deutschland und Europa
- jetzige und ehemalige Kolleginnen und Kollegen
- alte und neue Mitglieder von Greenpeace
- meine Familie und andere Freundinnen und Freunde.
Da kam schon einiges zusammen.

Nach und nach kamen Spendenzusagen, die ich auf einer Internet-Seite sammelte. Schließlich hatte die Liste über 30 Einträge mit Zusagen von 10 bis 100 Cent pro Kilometer, mit Festbeträgen von 5 bis 300 Euro. Manche Leute hatten sich auch sehr abenteuerliche Formeln einfallen lassen, die ich dann so gut wie möglich abschätzte.
Schließlich standen über 700 Cent pro Laufkilometer und weit über 500 Euro an festen Zusagen in der Summenzeile.

Schließlich kam das große Wochenende. Shu-Jung war mittlerweile aus dem Koma erwacht, befand sich nicht mehr in akuter Lebensgefahr und war nach Taiwan verlegt worden. Das war für alle Beteiligten ein gute Nachricht und eine große Erleichterung.

Gabi setzte mich auf dem Weg nach Duisburg in Hilden ab. So konnte ich alles mitnehmen, was mein Herz begehrte: Diverse Getränke, 1 kg Bananen, viel Lindt-Schokolade, ein Stuhl für kurze Pausen, eine Decke für die kalte Nacht, viele Laufsachen zum Wechseln, Duschzeug, ...

Nicht mitgenommen hatte ich einen Schlafsack, denn ich wollte die ganze Nacht durchlaufen. Das hatte ich schon bei den 100 km-Läufen in Biel und Lappland gemacht und dort war es vollkommen unproblematisch gewesen.

Start war samstags um 14 Uhr. Dadurch, dass die Sommerzeit in der Nacht endete, gingen die 24 Stunden 'schon' am Sonntag um 13 Uhr zu Ende. Ich kam eine Stunde vor dem Start im Stadion an. Ich begrüßte Sigi und Conny Bullig, die Veranstalter. Sie und ihre Helfer waren noch mit dem Aufbau beschäftigt. Aber wie immer bei solchen Läufen war von Hektik keine Spur. Die Teilnehmerzahl ist meist überschaubar und alle haben Zeit genug.

Nach und nach trudelten auch die anderen Läuferinnen und Läufer ein, u.a.

Peter  Jutta
Peter und Jutta, die ich von meinem
6-Stunden-Lauf in Heerde in angenehmer Erinnerung habe

Heike rief an, dass sie noch auf der Autobahn stecke. Ich glaube, eine Autobahnfahrt von Rostock nach Hilden ist für sie nicht so leicht zu kalkulieren wie ein Lauf von 24 Stunden oder 6 Tagen.


Heike, im Bild in der Mitte, mit der ich von
Wien nach Budapest gelaufen bin.
Links von ihr läuft Conny, rechts Petra

Pünktlich fanden sich alle am Start ein. Nach ein paar kurzen Ansprachen gab es noch eine kurze Gedenkminute, um an den traurigen Anlass des Laufs zu erinnern.

Gedenkminute
Gedenkminute

Doch dann ging es auch schon los. Ruhig und ohne Hektik, doch trotzdem zog sich das Feld schon bald auseinander und verteilte sich auf der 400m-Bahn.

Start
Los geht's!

Mein letzter 100-km-Lauf hatte mir gezeigt, dass ich oft zu schnell laufe. Deshalb achtete ich auf mein Tempo und suchte andere LäuferInnen, die ein ähnliches Tempo liefen. Dabei traf ich Daniel und Tine, die sich auch beide erstmals an ein solches Unternehmen machten. Daniel war sogar noch nie einen Marathon gelaufen - mutig!

Daniel  Tine
Daniel und Tine bei ihrem ersten 24-Stunden-Lauf

Daniel lief recht schnell, und wahrscheinlich habe ich mich etwas von ihm ziehen lassen. Aber irgendwann ließ ich ihn ziehen. Auf der 400m-Bahn verliert man sich nicht aus den Augen. Tine lief etwas langsamer. Das Tempo lag bei angenehmen 6 min/km und wir unterhielten uns über unsere Jobs, andere Läufe und alles, was uns in den Kopf kam.

Die ersten Runden, die ersten Kilometer, die ersten Stunden - und immer noch hatte der Lauf gerade erst angefangen. Bevor es dunkelte, wurden Baustellen-Lampen an der Innenbahn aufgestellt. Außerdem gab es noch etwas Licht von der Tribüne - mehr nicht. Vor der Tribüne stand der Verpflegungsstand. Dort hatte ich meine Schokolade hingestellt - im Laufe der Zeit wurde sie kontinuierlich weniger.

Tribüne
Der Verpflegungsstand und die Tribüne bei Tag

Es wurde dunkel. Markus hatte gesagt, er wolle gegen 20 Uhr kommen. Ich hatte ihn gebeten, mir eine Tüte Fritten mitzubringen, falls er an einer Pommes-Bude vorbei käme. Aber Markus kam nicht, statt dessen fragte Sigi, wer eine Pizza mit bestellen möchte. Was tun - nichts oder doppelt? Ich bestellte die Pizza, die ungefähr zusammen mit Markus (ohne Fritten) ankam. Alles richtig gemacht! Gegen 21 Uhr hatte ich so meine erste etwas längere Pause.

Markus
Markus (stehend) und Helmut

Es blieb dunkel, einige LäuferInnen gingen schlafen. Markus und Marika drehten gleichmäßig ihre Runden. Ich lief solange es ging; ich ging, bis es wieder lief. Nach 13 Stunden, nachts um 2 Uhr, hatte ich 100 km erreicht. Aber immer noch 11 Stunden, endlos lang.

Mittlerweile waren Ann und Henk aus Driebergen angekommen. Ann hatte mich für den 100 km-Lauf in Winschoten trainiert und wollte mich aufmuntern. Schwerer Job. Selten war ich so müde. Nicht aus Schlafmangel, das war kein Problem. Aber alles wurde so lang und ein Ende war nicht abzusehen.

Ann und Henk
Ann und Henk - hier am frühen Morgen

Irgendwann wollte mein Körper eine Pause. Ich ging nach drinnen, wo es wärmer war. Als Ann einen Moment nicht da war, legte ich mich auf den Boden und versuchte zu schlafen. Das klappte nicht wirklich. Ann kam zurück und kitzelte mich, aber ich stellte mich schlafend. Aber sie gab nicht auf. Ich erbat mir noch 15 Minuten Pause, aber da war ich schon wieder wach. Statt zum Schlafen nutzte ich die Zeit für einen Toilettengang. Nach insgesamt 45 Minuten Pause war ich wieder auf der Piste.

Henk hatte nachts etwas geschlafen. Morgens begleitete er mich dann einige Runden. Mal lief ich, mal ging ich. Ich hatte keine Schmerzen, aber ich war ausgelaugt. Die Zeit verging nicht, die Kilometerzahl stieg kaum. Es wurde hell, die Strecke wurde voller, Ann und Henk fuhren heim.

Henk und Helmut
Henk und Helmut

Im Laufe des Vormittags liefen bzw. gingen Uli und ich ein paar Runden zusammen. Mit ihm unterhielt ich mich über Gott und die Welt - im wahrsten Sinne des Wortes. In seiner Jugend war er schwerst drogenabhängig, beschaffungskriminell, mehrfach an Hepatitis erkrankt, ..., eben alles was dazu gehört. Die Wege weg von den Drogen und hin zu Gott liefen parallel. Mittlerweile ist er Pfarrer, Familienvater und Mehr-Tages-Läufer.

Uli
Uli, der laufende Pfarrer, den ich bisher nur vom Sehen kannte

2,5 Stunden vor Schluss bin ich fertig. Auch mit guter Musik auf den Ohren kann ich mich nicht mehr zum Laufen motivieren. Selbst das Gehen fiel mir immer schwerer. Dann hat doch der Schweinehund gesiegt: Die Dusche war schön warm und irgendwo lag noch ein Schlafsack in der Ecke. Aber auch als ich wieder wach war und die anderen laufen sah, hatte ich immer noch keine Lust, noch mal auf die Bahn zu gehen. Das hat mir gezeigt, dass meine Entscheidung so falsch nicht war.

Ich bin in 24 Stunden 355 Runden gleich 142 km gelaufen. Soweit wie noch nie in meinem Leben. Vorher hatte ich gedacht, es würde mehr werden. Nachher erschien es mir endlos. Aber ich habe viel über mich gelernt und viele interessante Leute getroffen.

Nach dem Lauf schrieb ich dann alle SpenderInnen an, erzählte ihnen von dem Lauf und gab ihnen die Bankverbindung. Mit Conny und Sigi hatte ich vereinbart, dass sie mich auf dem Laufenden halten würden, wie viel Geld unter dem Betreff 'Helmut für Shu Jung' eingeht. Und wirklich, nach und nach kam alles zusammen. Okay, eine hatte vergessen, ihre Kontonummer anzugeben. Okay, einer war noch in Texas. Aber alles lösbar.

Und hier nun das Endergebnis:

1.807,71 Euro

Meine Frau Martine und ich haben dieses Ergebnis dann auf 2000 Euro aufgerundet. Insgesamt kamen 6.214,86 Euro zusammen. Dieses Geld wurde nun über das Unternehmen TNT ohne Kosten nach Taipeh transferiert, wo es vollständig Shu Jung übergeben wird.

Ich muss zugeben, dass mich die Reaktion auf meinen Spendenaufruf überrascht hat. Nie never ever hätte ich mit einer solchen Summe gerechnet.

Dafür möchte ich mich bei allen Spenderinnen und Spendern bedanken.

 

Helmut



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