Won't Forget These Days

100 km in Winschoten, am 13. September 2008

Ende März waren wir beim ersten Konzert der Abschiedstournee von Fury in the Slaughterhouse. Das war einer der Tage, die man nie vergisst. "Won't Forget These Days" war eines der Stücke, die man nie vergisst, die einen lange begleiten - manchmal sogar auf einem 100 km-Lauf.

Lange habe ich mich auf diesen Lauf vorbereitet. Das erste Mal mit Hilfe einer Trainerin, Ann, die ich beim SM-Loop Ende 2007 kennen gelernt habe. Sie hat dafür gesorgt, dass ich nicht zu viel, nicht zu schnell und überhaupt etwas disziplinierter trainiere.

Das Organisationskomitee hatte alles bestens vorbereitet:
Eine private Unterkunft für zwei Nächte wurde für mich gefunden. Vom Bahnhof aus gab es einen Shuttle-Service zur Startkartenausgabe. Von da aus holte unser Gastgeber Ann und mich abends ab und brachte uns morgens wieder zum Start. Und auch am Morgen nach dem Lauf brachte er uns zum Bahnhof. Noch mal Danke an Chris und Stineke!


Helmut und seine Gastgeber

Ann belegte die Küche mit Beschlag, kochte für alle und nach dem Essen bereitete sie meine Verpflegung für den nächsten Tag vor.
Auf der 10-km-Runde waren zwei volle Verpflegungsstände sowie zwei Verpflegungsstände mit Wasser und Schwämmen. Für die Vollverpflegungsstände konnte man auch Eigenverpflegung abgeben. In der Nähe dieser Stände durften auch Betreuer Verpflegung anreichen.

Nach dem Abendessen drehten wir mit Chris noch eine Runde um den Block, tranken noch Cola/Wasser/Wein in einer Kneipe und gingen dann früh zu Bett.

Für 8 Uhr waren wir zum Frühstück verabredet. Gegen 7 wurde ich wach und machte mich fertig: Pflaster auf die Brustwarzen, Vaseline an empfindliche Stellen, Startnummer vorne und hinten auf's Shirt, die übliche Prozedur eben.
Um 8 ging ich runter zum Frühstück. Ann war schon da. Wir tranken Kaffee, viel Hunger hatte ich nicht. Um 9 waren wir fertig - aber erst um 10 sollte der Start sein.

So machten wir uns frühzeitig auf den Weg. Zuerst fuhren wir den Verpflegungspunkt auf halber Strecke an und deponierten dort eine Kiste mit Verpflegung: getrocknete Aprikosen und Bananen, PowerGel und MüsliRiegel, Kaffee, Blaubeersaft, PeptiPlus und andere Getränke - dafür würden 100 km nie ausreichen!
Eine zweite solche Kiste deponierten wir in der Nähe des Starts.

Start und Ziel
Start und Ziel

Pünktlich ging ich zum Start und genauso pünktlich ging es los.
Mein Ziel war es, die 100 km unter 9:30 h zu schaffen. Und auch mit einer Zeit unter 10:00 h wäre ich nicht unglücklich - meine Bestzeit lag bei 10:13:23 h, gelaufen in Lappland.

Das entspricht einem Schnitt von 5:42 min/km. Deshalb wollte ich mit 6:00 min/km starten und dann auf 5:30 min/km beschleunigen. Das würde noch etwas Zeit für Pausen lassen.

Schon am Start traf ich Frank aus Kiel und wir liefen die ersten 5 km zusammen - mit einem Tempo von 5:10 min/km - soviel zu guten Vorsätzen.
Aber das Tempo fühlte sich gut an und es lief weiter gut - ungefähr einen Marathon lang. Nach 50 km hatte ich eine neue 50 km-Bestzeit mit 4:24:13 h und einem Schnitt von 5:17 min/km - das sollte sich rächen.

Bis dahin fühlte ich mich sehr gut. Ann pendelte immer mit dem Rad zwischen den beiden Verpflegungspunkten und reichte mir meine Wünsche an. So konnte ich ungebremst mein Tempo halten. Nur zwei kurze Boxenstopps auf einem einsamen Teilstück mussten sein.

 
Ungebremst geht's weiter!

Mittlerweile hatte ich verschiedene Fanclubs. Auf meinem Shirt stand mein Name vorne groß drauf und so wurde ich oft angerufen. Auch gab es ein Heft, in dem zu jeder Startnummer der komplette Name, Alter und Herkunftsort standen. Und weil ich mich immer für den Zuspruch bedankte, fiel dieser in der nächsten Runde umso größer aus.

Das fing an mit dem Sprecher an der Ziellinie, der mich öfter fragte, wie es mir geht. Anfangs bekam er ein "Thumbs up" und ein "Super!" oder "Gut!", später auch mal ein "War schon mal besser."

Der Sprecher
Der Sprecher

Knapp einen Kilometer weiter kam eine S-Kurve, in der ich von einer Gruppe älterer Niederländer mit lauten Rufen "Da kommt Helmut!" und einer Rassel empfangen wurde. Später verpflegten sie mich mit Kaffee und Cola, boten mir etwas zu essen an und plauderten mit mir über Musik. "Ich höre nur Klassik und die Scorpions", meinte eine ältere Dame zu mir.

Rollstuhl und Rassel
Rollstuhl und Rassel

Der große Einbruch kam dann nach der 50-km-Marke. Hatte ich vorher noch gute Zwischenziele (Marathon, 50 km), frische Beine, einen ruhigen Magen und einen intakten Kreislauf, so bekam ich nun mächtig Probleme. Mein Magen hatte vielleicht etwas zuviel bekommen, vielleicht auch nur die Mischung nicht vertragen, oder konnte bei dem angeschlagenen Tempo nicht genug verdauen. Jedenfalls brauchte er etwas Pause.

Auch mein Kreislauf spielte nicht mehr 100prozentig mit. Mittlerweile war es Mittag und recht warm und sonnig - wenn auch nicht wirklich heiß. Die Beine waren zwar etwas müde, aber nicht wirklich schwer. Ich schleppte mich weiter.

Runde um Runde
Runde um Runde

Nach 60 km wollte ich dann wirklich nicht mehr. Das Ziel noch so weit, der Tag noch so lang. Doch gemeinsam waren wir stark. Ann meinte, ich solle noch eine Runde machen. Ich ließ mir meinen MP3-Player und ihren Fotoapparat geben und machte mich wieder auf den Weg.

Time To Wonder
 
This is not the time to wonder
and this is not the time to cry
This is not the time to sleep while we fight
and this is not the time to die

Ich lief jetzt langsamer, machte ab und an mal eine Pause, quatschte mit den Zuschauern und machte ein paar Fotos. Das Ziel "9:30" war vergessen und mein Kopf entspannte sich.


Orange Street

Die Orange Street war ganz in orange gehalten. Es gab Orangen zu essen, ein oranges Sofa stand auf der Straße, orange Wimpel, oranges Banner...

Wimpel
Wimpel überall

Eine andere Straße war komplett mit Wimpeln überspannt.
Langsam hob sich meine Laune wieder, der Magen beruhigte sich, der Kreislauf war okay. Die Beine wurden natürlich nicht besser - aber auch nicht schlechter.
Meine Daumen zeigten wieder nach oben.

Daumen hoch
Daumen hoch

19 km vor dem Ende machte ich noch mal Pause bei meinem Lieblings-Fanclub. Da war mir schon klar, dass ich die 10 Stunden unterbieten würde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nach 6 Minuten sagte ich, ich müsse mich jetzt wieder auf den Weg machen. Mein Puffer war fast aufgebraucht - aber mehr Reserve war auch nicht nötig.

Auf der vorletzten Runde traf ich noch Jan, den ich in Apeldoorn kennen gelernt hatte, sowie Wilma, mit der ich über den Eifelsteig gelaufen bin.

Letzte Runden
Die letzten Runden

In der letzten Runde verabschiedete ich mich dann von allen, die mich so gut unterstützt hatten: Die Rasselbande am Anfang der Runde, die Oma meiner Gastgeber bei Halbzeit und drei ältere Damen gegen Ende der Runde bekamen ein paar Küsschen, Wilma lief noch ein paar Meter mit, Ann kam mir mit dem Rad entgegen und ich näherte mich langsam dem Land of Milk and Honey (Fury).

Zielgerade
Auf der Zielgeraden

Es war schon erstaunlich, was da noch in meinen Beinen war. Der Endspurt war noch mal richtig schnell, wenn auch unnötig. Der Sprecher meinte "Da kommt unser Liebling!" und schon war es passiert.

100 km - 9:56:56 - wow!

Im Ziel
Im Ziel

Im Ziel wurde mir eine Decke übergelegt, ein Stuhl stand bereit - 2 m hinter der Ziellinie! Kurze Zeit später gingen Ann und ich zum Verpflegungsstand, tranken etwas und gingen dann in die Halle zum Duschen und zur Massage. Das Wasser war warm und die Massage sanft und ausführlich. Dazu gab es noch etwas Wein - was will man mehr!

Mein größter Fan
Mein größter Fan

Dann ging es zurück nach Hause. Ann gab mir das Fahrrad und lief selbst nebenher. Radfahren ging gut und die Abendluft war erfrischend. Im Haus war nur Oma, mit der wir noch etwas Wein tranken. Wirklich nur etwas. Dann ging ich ins Bett und bemühte mich einzuschlafen. Das war nicht ganz einfach, weil die Blutblase am linke Fuß schmerzte, wenn ich darauf lag und auch verschiedene andere Körperstellen sich je nach Lage beschwerten.

Am nächsten Morgen brachten Chris und Ann mich zum Bahnhof. Die Beine waren, naja, nicht ganz frisch, aber gut beweglich. Der Zug stand schon abfahrbereit auf Gleis 2 und so musste ich sogar noch einen kleinen Sprint machen.

So ging ein langer Lauf schnell zu Ende. Es war ein schönes Erlebnis, wenn auch anstrengend. Alles hat gepasst: Die tolle Unterstützung duch Ann, meine netten Gastgeber, die hervorragend organisierte Veranstaltung und die engagierten Zuschauer am Rand.

 

Helmut

RundeZeit
10:52:00
20:52:12
30:52:04
40:52:47
50:55:10
50 km4:24:13
61:16:10
71:04:59
81:05:46
91:05:58
100:59:47
100 km9:56:56


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