Erlebnisbericht vom Lapplandultra (Adak, Schweden) am 27./28. Juni 2008

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Lappland Ultra 2008 - Bloß keine Hektik

Letztes Jahr hatte ich bereits am Lappland Ultra teilgenommen. Jedoch konnte ich schon vor dem Start vor lauter Schmerzen kaum gehen, geschweige denn Laufen. So war ich nur bis zur Marathon-Distanz gekommen und dann ausgestiegen. Ich hatte mir zwei Monate vor dem Lauf einfallen lassen, das ganze versäumte Training des Jahres nachzuholen und war vollkommen übertrainiert. Zurück in Deutschland hatte ich mich sogleich wieder für den Lappland Ultra angemeldet. Ich hatte ja noch eine Rechnung offen und bei der 10jährigen Jubiläumsveranstaltung wollte ich auf jeden Fall finishen. Übertraining - das sollte mir ganz bestimmt nicht wieder passieren.

So begab ich mich also am Mittwoch, 25.06. mittags auf den Weg mit dem Zug zum Flughafen Köln/Bonn. Dank an meine Frau, die mich begleitet und mir den „Self-CheckIn“ Automaten am Flughafen erklärt hat. Ich selbst bin nämlich, was solche Automaten angeht (ja, die von der Bahn gehören auch dazu!) ziemlich „aufgeschmissen“. So waren also die Formalitäten schnell erledigt und das Gepäck abgegeben. Es blieb noch genügend Zeit, um sich den Flughafen anzuschauen, zumal es von demselben drei Wochen später in den Urlaub nach Nordirland gehen sollte.

Dann hieß es jedoch Abschied nehmen, ein letzter Kuss zum Schluss und ab in den Flieger.

Kaum gestartet, schon gelandet; nach knapp 90 Minuten landete ich wohlbehalten am Flughafen Stockholm-Arlanda. Dort sollte ich dann auf den Rest meiner Reisegruppe aus Süddeutschland treffen, als da wären zunächst einmal natürlich Uwe, mein Zwillingsbruder. Er war letztes Jahr nur bis 73 Kilometer gekommen und dieses Jahr gehandicapt durch einen schweren Radunfall einige Wochen vorher. Die Beine waren jedoch topfit. Als nächstes Eddi Urban, ein Freund von Uwe vom selben Verein. Eddi läuft fast immer barfuß (ausser bei Läufen) und war letztes Jahr auch bei Kilometer 73 ausgestiegen. Dieses Jahr wollte er walken, da er aufgrund von Knieproblemen nicht laufen konnte. Last but not least dann Horst Lang. Horst ist nahezu erblindet und sieht nur grobe Umrisse. Er läuft allerdings zielsicherer durchs Leben als so mancher Sehender. Horst war auf jeden Fall topfit in allen Belangen. Alle drei gehören dem SV Freistett an, ein Verein aus Süddeutschland (Nähe Offenburg, Straßburg), den man auch als Mekka der Laufverrückten bezeichnen könnte.

So traf ich denn auch meine Reisegruppe und es konnte weitergehen; sprich Übernachtung im Flughafen-Gebäude und davor Anschauen des Fussballspieles Deutschland - Türkei. Wir fanden dann auch ein Bistro mit Fernseher und wichtig für mich viel Kaffee. In Schweden ist das oft so, dass man eine Tasse Kaffee zahlt und dann nachschenken kann, soviel man will oder der Organismus verkraftet. Somit verbrachten wir noch einen interessanten Abend und konnten uns dann zur Ruhe begeben oder was man halt so Ruhe am Flughafen nennen kann. Ständiges Gewusel von irgendwelchen Leuten und Kehrmaschinen, die den Boden säuberten. Da war an Schlaf nicht viel zu denken und so war ich Eddi dankbar, der eine Möglichkeit entdeckt hatte, kostenlos im Internet zu surfen.

Am nächsten Morgen ging es dann mit dem nächsten Flugzeug weiter nach Skellefteå. Wir flogen mit einer kleinen Propellermaschine und somit war der Flug sehr interessant. Im Gegensatz zum vorherigen Flug hatte ich jetzt das Gefühl, wirklich richtig zu fliegen. Nach etwa 90 Minuten war der Flug allerdings schon wieder vorbei und wir landeten in Skellefteå; ein Flughafen etwa in der Größe eines kleineren Bahnhofes. Von dort aus ging es dann weiter mit einem sogenannten Flugbus nach Malå, dem vorläufigen Ziel unserer Reise. Einige Minuten Fußweg und wir waren an unserer Hütte angelangt.

Carbo-Loading
Carbo-Loading

Die Hütte war schön geräumig, komfortabel und zudem einem Hotel angegliedert, wo wir morgens prima frühstücken konnten (natürlich wieder mit Kaffee zum Nachnehmen). Dank an Uwe, der die Unterkunft gebucht hatte. Abends sind wir dann noch „zum Italiener“ im Ort Essen gegangen, sozusagen „Carboloading“ mit viel Spaghetti. Uwe, der fließend Schwedisch spricht und die schwersten in Deutschland angebotenen Prüfungen für das Lernen der schwedischen Sprache mit Auszeichnung bestanden hat, ist dort allerdings ein kleiner Lapsus passiert. Er wollte Spaghetti mit Knoblauch haben. Knoblauch heißt auf schwedisch „vitlök“. Nun hatte er sich ein wenig im Vokabular vergriffen und „köddlök“ bestellt. Unserem eingefleischten Veganger wurden nun Spaghetti mit Fleisch und ganz viel Zwiebeln serviert; „köddlök“ bedeutet nämlich „Fleischzwiebeln“. Gibt’s ja irgendwie gar nicht, aber was so ein kreativer Italiener ist, der bekommt das dann schon hin. Na ja, so hatte sich Uwe halt nochmal die richtigen Spaghetti bestellt.

Gut gesättigt sind wir dann zurück und haben in der Hütte dann noch (dank Fernsehgerät) das Fussballspiel Russland - Spanien geschaut. Uwe hatte den schwedischen Kommentar übersetzt und das Spiel kommentiert, so dass wir auch alles mitbekommen haben. Kommentieren musste er sowieso, weil Horst das ja nicht sehen konnte. Ich bin allerdings zum Ende des Spieles auf der Couch eingeschlafen; war ja auch nicht so spannend.

Freitag, 27.06. - der Tag und die Nacht des Rennens! Morgens waren wir erst einmal ausgiebig im Hotel frühstücken und trafen dort natürlich auf einige andere Teilnehmer am Lappland Ultra. So auch auf einen ziemlich durchtrainierten Mexikaner (ja, ja, das Event ist international besetzt), ein 11facher Ironman, der nur so vor Zuversicht strotzte. Bei der Fitness konnte er sich das wohl auch leisten.

Busstation
Busstation

Mittags ging es dann los zur Busstation. Und dann sah ich ihn - Berrie! Mein Herz quoll über vor Freude und Erleichterung. An Berrie konnte ich mich halten und würde auf der Strecke nicht allein sein. Berrie, seines Zeichens wandernder Holländer, hatte die letzten drei Jahre den Lappland Ultra erfolgreich absolviert und immer zugesehen, ja letzter zu werden. Der typische Wandersmann ist Berrie allerdings nicht; er wandert schon einmal 200 Kilometer am Wochenende und hat uns erzählt, in einem Jahr sei er 11000 Kilometer gewandert. Hut ab, da würden sich viele freuen, wenn sie soviel auf dem Rad trainieren würden!

Nach einer kurzen Busfahrt waren wir nun endlich am Ziel unserer Träume - Adak, wie Helmut es so schön nannte, das Biel des Nordens! Wir hatten noch genügend Zeit bis zum Start und konnten das Treiben dort so richtig genießen. Mit den Startunterlagen gab es übrigens ein wunderschönes T-Shirt, auf dem die gesamte Strecke hinten aufgedruckt war. Ich brauche wohl nicht groß zu erwähnen - es ist jetzt mein Lieblings-Shirt.

Neben vielen Schweden, Finnen, Norwegern, Iren, einem Mexikaner und Japaner trafen wir auch einige andere Deutsche. Darunter natürlich wieder Henry, der einige Jahre in Aachen gelebt hatte. Henry war derart schnell unterwegs, dass er den Lauf schon einmal gewonnen hatte. Man wünschte sich gegenseitig viel Erfolg und schon bald hieß es „Auf zum Start!“. Wir hatten uns für den Start der langsamen Läufer und Geher um 18 Uhr entschieden, da wir alle nicht so schnell unterwegs sein wollten. Außerdem mussten wir so nicht solange warten (der andere Start war erst um 22 Uhr) und es war auch noch wärmer beim Loslaufen.

Start
Start

Und dann ging es endlich los. Der Startschuß fiel und wir setzen uns in Bewegung; einige gemächlich, andere weniger. Uwe lief mit Horst zusammen vorneweg und Eddi und ich walkten gemeinsam mit Berrie am Ende des Feldes. Uwe sollte Horst die ersten 60 Kilometer begleiten. Bis dahin wäre die Strecke noch ziemlich schwierig für Horst. Danach sei wohl nur Asphalt und lange Geraden, wo Horst dann allein laufen konnte, was ich für jemanden, der nahezu blind ist, einfach phänomenal finde. So war für Uwe ausgeschlossen, dass er wie letztes Jahr wie von einer Wespe gestochen mit der Spitze mitlief, ja sogar die Führung bis Halbmarathon innehatte, um dann bei Kilometer 73 elendig „zu verenden“. Horst bevorzugte nämlich ein gleichmäßiges Tempo!

Um 19.34 Uhr erreichten wir drei dann gemeinsam das 10km-Schild (so eins stand alle 10 km). Wir waren richtig schnell unterwegs, weil wir uns noch nicht sehr lange an den Verpflegungsständen aufgehalten hatten. Kurz danach entschloss ich mich, mir meine Socken anzuziehen und setzte mich dazu auf den Boden. Darauf hatten die Ureinwohner Schwedens nur gewartet. Im Nu war ich von einem Schwarm Mücken umhüllt, die nur das Eine wollten. Eddi fächelte mit seinem Lauf-Shirt und so ging es irgendwie gut. Nun hat die schwedische Mücke so überhaupt keine Ähnlichkeit mit der gemeinen deutschen Hausmücke. Die nordischen Geschosse sind einfach unersättlich und vollkommen immun gegen deutsche Anti-Mückenmittel. Sobald man stehen bleibt, stürzen sie sich auf einen; glücklicherweise ist es während des Laufens ok - also ein Grund, immer in Bewegung zu bleiben.

Eis
Eis

Etwas später dann winkte uns eine Frau aus dem Wohnzimmer ihres Hauses zu und bedeutete uns, wir sollen warten. Sie kam heraus mit einer größeren Schachtel. Darin für jeden ein Eis - das hat man auch nicht alle Tage, Eisessen beim Laufen!

Kilometer 20 erreichten wir dann um 21.19 Uhr bereits ohne Berrie, der sich nach hinten abgesetzt hatte. Mittlerweile begann mein rechtes Knie zu schmerzen, was aber noch erträglich war. Ja, mein Körper konnte mit vielem etwas anfangen, nur nicht mit Laufen. Daran war er einfach nicht gewöhnt. In der Zwischenzeit war ich übrigens vom Walken auf langsames Laufen umgestiegen. Walken ist halt nicht so mein Ding und Laufen wesentlich einfacher und weniger anstrengend für mich; zumindest in dem Walking-Tempo von Eddi. Ich hörte Uwe ständig sagen: „Sooo langsam kann man doch gar nicht laufen!“ - Doch lieber Uwe, man kann und das sogar ziemlich lange.

Kurz nach Kilometer 20 an einem Verpflegungsstand erhielten Eddi und ich dann die schwedische Geheimwaffe gegen Mücken - US 622, ein Mittel, dass dort die Holzfäller verwenden. Wir ließen den Anti-Mückenroller über die Haut gleiten, überall, wo wir hinkamen, und siehe da, fortan hielten die Mücken einen gebührenden Sicherheitsabstand. Wie ich in Deutschland bei meiner Internet-Recherche später erfahren sollte, ist das Zeug in Deutschland ob seiner möglichen aggressiven Wirkung auf die menschliche Haut verboten. So ließen sich dann auch Eddis Hautrötungen erklären.

Ach ja, die Verpflegungsstände, diese Oasen des Genusses und der Glückseligkeit. So etwa alle 5 Kilometer tauchten sie auf und boten alles, was das Herz begehrte: Wasser, Cola, isotonisches Getränk, Tee, Kaffee, Obst, Schokolade, Brot, süss-saure Gürkchen, teilweise wärmendes Lagerfeuer und nette und herzliche Menschen. Meine Favoriten waren Kaffee, die Gürkchen und die netten Leute.

Am ersten Verpflegungsstand hatten wir übrigens gefragt, ob wir einen dieser speziellen Trinkschalen haben könnten. Das sind kleine faltbare Kunststoffschalen mit Aufdruck „www.laplandultra.nu“, die ich bis jetzt nur beim Lappland Ultra gesehen hatte. Eine hatte ich schon zuhause. Die wurde mir letztes Jahr von den Damen unserer Lappländer Reisegruppe geschenkt - Danke Mädels! Wir haben dann jeder eine Schale bekommen und sollten im weiteren Verlauf noch einige davon an der Strecke finden, die wir natürlich alle aufgesammelt haben. Dank unserer großzügig bemessenen Rucksäcke gesellten sich noch einige Power-Gels und Power-Riegel dazu; alles, was man, insbesondere Eddi, so unterwegs findet.

Um kurz vor 22 Uhr ließ meine Laune stark nach und die Schmerzen im rechten Knie wurden stärker. Auch ging mir der badische Dialekt von Eddi ein wenig auf die Nerven, obwohl Eddi unterwegs sehr viele und interessante Geschichten zu erzählen hatte, sofern er nicht gerade schlief (dazu später mehr). Also war nun die Zeit gekommen für meine erste Zigarette. Wir waren ja auch schon fast vier Stunden unterwegs. Dieses Jahr hatte ich mir gleich Tabak und Aschenbecher mitgenommen und war nicht wie im letzten Jahr auf Zuschauer an der Strecke angewiesen, bei denen ich mich zu einer Zigarette eingeladen hatte. Ist ja ungewöhnlich, Rauchen während eines „Wettkampfes“, mag so mancher einwenden. Doch frage ich euch, was ist überhaupt gewöhnlich, wenn zwei Deutsche 100 Kilometer mitten in Lappland laufen? Später erfuhr ich übrigens von einem Finnen, der jahrelang mitgelaufen war und das mit dem Rauchen genauso gehandhabt hatte. Warum war der Finne eigentlich dieses Jahr nicht mehr dabei? ... Na ja, es mag viele Gründe dafür geben.

Um genau 23.01 Uhr erreichten wir dann die 30 Kilometer-Marke und nur wenig später ereilte uns eine Begegnung der überirdischen Art - die erste Staffelläuferin überholte uns; ja sie flog geradezu an uns vorbei. Welch’ ein Anblick, welch’ ein Laufstil, eine Mischung aus Fee und Gazelle. Das wollte ich dann doch noch etwas länger genießen und versuchte ihr zu folgen. Das ging leider nur etwa 50 Meter lang gut und das Mädel schwebte davon.

Bei Kilometer 38 gönnten wir uns dann unsere erste Massage. Mittlerweile war es auch schon empfindlich kalt geworden und meine Beine schmerzten ziemlich. Bei Eddi war alles ok. Schaden kann’s ja nicht, sagte er und so tat uns beiden die Massage zweier richtig zupackender Damen sehr gut. Ich für meinen Teil wollte einfach nur liegenbleiben, doch der Elch rief und wir folgten.

Kilometer 40 erreichten wir dann um 01.03 Uhr und ohne große Zwischenfälle die 50er-Marke um 03.01 Uhr. Die Kälte war jedoch grausam. Später erfuhren wir, die Temperatur sei bis auf 0 Grad gesunken. Da verlasse ich normalerweise nicht mal mehr mein warmes Bett und nun war ich am Laufen - komische Welt! Eddi und ich begrüßten später jeden Sonnenstrahl, doch noch gab es keine.

Dann war es soweit, die Blasen meldeten sich vehement und ich musste mich darum kümmern. So setzte ich mich auf die Straße (es war im wahrsten Sinne des Wortes „arschkalt“) und die meisten meiner acht Blasen erhielt ein Blasenpflaster (die großen Fersenpflaster). Glücklicherweise hatte Eddi überhaupt solche Pflaster dabei und brauchte selbst keines davon. Na ja, ich konnte Eddi als Ausgleich auch helfen. Ohne mich wäre er verhungert. Mit seinen steifgefrorenen Fingern konnte er nämlich seine Power-Riegel und Gels nicht mehr öffnen. An Handschuhe hatte keiner von uns beiden gedacht; wie auch, bei Temperaturen tagsüber von weit mehr als 20 Grad. Mücken nervten übrigens nicht mehr, denen war es wohl auch zu kalt.

60 km
60 km

So langsam zeigten sich nun immer mehr Sonnenstrahlen und hurra, es wurde wärmer. Wir zwei begannen langsam wieder aufzutauen und der Spaß am Laufen kehrte auch zurück. Das 60 Kilometer-Schild passierten wir dann schon bei Sonnenschein um 05.01 Uhr und begrüßten auch dieses so freudig wie alle anderen Schilder, wie uns das Angelika, eine Lauffreundin, empfohlen hatte. Ab hier endete der Schotterbelag und es gab nur noch Asphalt, was ich als viel angenehmer empfand. Allerdings nahm das Auf- und Ab der Strecke noch mehr zu; das war dann wieder der Haken an der Sache, zumal wir ja auch schon einiges in den Beinen hatten und unsere Kräfte ja nicht gerade mehr wurden.

Etwas später musste ich dann den zweiten „Boxenstopp“ einlegen und weitere Blasen verpflastern. Mittlerweile nannte sich die Haut unter meinen Fußsohlen nur noch Blasenpflaster. Na ja, damit ging es auf jeden Fall. Später sollte ich an einem Verpflegungsstand vom Veranstalter noch drei weitere Pflaster bekommen und dann war alles abgedeckt. Die Vorräte von Eddi hatte ich ja schon aufgebraucht.

An jedem Verpflegungsstand haben wir uns übrigens erkundigt, ob und wann Horst und Uwe vorbeigekommen waren. So waren wir jederzeit informiert, wie es um die beiden stand. Als ich später allein laufen sollte, hatte ich das weiterhin so gehandhabt und wusste immer, wo Eddi war.

Kurz vor Kilometer 70 stellte ich dann fest, dass Eddi verstummt war. Ein Blick zu ihm: Eddi schlief - und das während des Laufens! Später erzählte er mir, er habe das schon öfter mal beim Laufen gemacht. Na ja, wenn man halt müde ist. Eddi sollte sich übrigens im weiteren Verlauf bei Kilometer 81 und 86 zwei zehnminütige Schläfchen an Verpflegungsstellen gönnen.

So kamen wir also zum Verpflegungsstand kurz vor der 70 Kilometer-Marke und dort war „Ende im Gelände“ bei mir. Alles tat weh und ich wollte erst einmal nicht mehr weiter. Vielleicht später, doch insgeheim hegte ich den Gedanken, ich setze mich hier hin und bleibe einfach sitzen. Dank eines Liegestuhles und der mittlerweile richtig schön und warm scheinenden Sonne wurde es mir auch sehr bequem gemacht. Bewegen brauchte ich mich auch nicht mehr; mir wurden Kaffee und natürlich Gürkchen gereicht, soviel ich wollte - und ich wollte viel davon. Zwei große Hunde schleckten mir die Füße ab. Das sei heilungsfördernd, wurde mir gesagt. Na ja, wenn es den Hunden Spaß macht und mir hilft. Von Eddi habe ich mich dann verabschiedet und er ist allein weitergelaufen. Ach ja, vorher hatte ich noch eine Schmerztablette von ihm bekommen; Eddi hatte halt irgendwie alles dabei, was ich brauchte. Ich habe dann noch gemütlich zwei Zigaretten geraucht und so dort mehr als eine Stunde verbracht.

Mittlerweile war ich auch nicht mehr allein. Liegestühle gab es genug und so gesellten sich nach und nach noch zwei Schweden und der „mexikanische Ironman“ nebst dänischem Begleiter dazu. Unser Ironman wirkte nun gar nicht mehr so dynamisch wie noch im Hotel und war ziemlich „am Ende“. Alles tat weh, jeder Schritt eine Qual, er sei dem Dänen total dankbar, dass dieser ihn unterwegs aufgegabelt habe und ihm nun ständig Mut zuspräche und ihn wieder aufbaue. Ja, wem sagte er das; all’ diese Gefühle hatte ich doch auch schon erlebt. So langsam entstand in mir nun der Gedanke doch weiterzulaufen. Ich hatte ja nur noch 30 Kilometer vor mir und warum war ich eigentlich nach Lappland gekommen? Doch wohl, um als Finisher das Land zu verlassen.

Die Überredung meines Körpers durch die Schmerztablette begann nun auch wenigstens ein bisschen zu wirken und so trabte ich nach mehr als einer Stunde exakt 63 Minuten später als Eddi wieder von dannen. Nun war ich allein mit mir und das war im Moment auch gut so. Ich konnte komplett abschalten und einfach die Beine laufen lassen. Kilometer 70 passierte ich dann um 08.22 Uhr (Eddi: 07.24 Uhr) und ohne besondere Vorkommnisse Kilometer 80 um 10.05 Uhr (Eddi: 09.30 Uhr). Von den Verpflegungspunkten her wusste ich mittlerweile, dass ich mächtig Boden auf Eddi gewann. Nach Kilometer 80 sah ich dann einige Rentiere und eines davon begleitete mich für etwa zehn Minuten. Es trabte kurz vor mir her und schaute sich gelegentlich um, ob ich noch folgen konnte. Das war irgendwie ein schönes Gefühl. Dann kam jedoch ein Auto und das Rentier verschwand. Im Auto saß übrigens ein Betreuer, der sich erkundigte, ob es mir noch gut ging. So kamen während des gesamten Laufes sehr oft Betreuer vorbei, um sich nach dem Befinden zu erkundigen; ein hervorragende Organisation und Betreuung, wie ich finde.

Nach Kilometer 80 hatte ich auch zum ersten Mal das intensive Gefühl, ich werde finishen. Das Gefühl war derart überwältigend, dass ich die Tränen vor Freude überhaupt nicht mehr halten konnte; ich meinte, einen ganzen See mit ihnen zu füllen. Nun würde alles gutgehen. Ich gönnte mir dann noch eine weitere Massage und erreichte um 12.09 Uhr die 90 Kilometer-Marke (Eddi: 11.58 Uhr). Wow, jetzt waren die restlichen Kilometer nur noch einstellig! In der Zwischenzeit hatte ich auch erfahren, dass Horst und Uwe beide mit klasse Zeiten gefinisht hatten. Prima, da war ich doch beruhigt; ich hatte es den beiden ja so sehr gewünscht.

Engel
Engel

Bei etwa Kilometer 94 traute ich meinen Augen kaum - drei Elfen kamen mir entgegen und eine von ihnen rief mir zu „dein Freund Eddi wartet auf dich“. Mein Herz hüpfte vor Freude. Um 12.50 Uhr hatte ich „meinen“ Eddi wieder!

Ganz toll, dass er auf mich gewartet hatte. So konnten wir unser Vorhaben, gemeinsam ins Ziel zu laufen, doch noch vollenden. Die drei Elfen waren übrigens auch ganz klasse; die Leute an der Strecke hatten sich wirklich eine ganze Menge einfallen lassen.

Nun ging es mit Riesenschritten dem Ziel entgegen. Eddi verzichtete sogar auf viele Fotos, um an meiner Seite zu bleiben. Ich konnte nämlich nicht mehr stehenbleiben. Hätte ich bei einem Foto auf Eddi gewartet, so war meine Befürchtung, wäre ich dort stehen geblieben und hätte meine Beine überhaupt nicht mehr bewegen können. Das wollte ich allerhöchstens nur noch etwa einen Meter vor der Ziellinie riskieren. Da hätte ich dann notfalls krabbeln können. Um 13.51 Uhr leuchtete uns dann das 99 Kilometer-Schild entgegen und das Schaulaufen begann. Um 14.02 Uhr war es dann vollbracht - Eddi und ich liefen gemeinsam ins Ziel! Welch’ ein Gefühl, welch’ ein Freude. Man muss das selbst erlebt haben, das zu beschreiben, dazu fehlen einfach jegliche Worte. Einfach überirdisch das Ganze! Noch jetzt erlebe ich dieses überwältigende Gefühl, wenn ich an den Zieleinlauf denke.

Im Ziel
Im Ziel

Sogleich wurde dann mit einer Dame in Samentracht ein Finisher-Foto gemacht. Horst und Uwe warteten auch schon auf uns, genauer gesagt, seit mehr als 4 bzw. 5 Stunden. Horst war nämlich wirklich zuletzt allein gelaufen und so nochmals schneller als Uwe. Ich entschwand dann allerdings relativ schnell zur Dusche, Sauna und ausgiebiger Massage. Danach fühlte ich mich wieder frisch und konnte meine Beine wenigstens einigermaßen bewegen.

Es folgte dann noch eine ausgiebige Siegerehrung und zum 10jährigen Jubiläum ein Essen im Wald, was richtig gutgetan hat. Gegessen wurde von gebogenen Holzschalen mit Holzbesteck, was anschliessend im Lagerfeuer verbrannt wurde. Im Feuer wurde dann noch Kaffee gekocht; auch wieder eine prima Idee vom Veranstalter.

Am nächsten Tag traten wir dann alle glücklich und zufrieden die Heimreise nach Deutschland an.

Nächstes Jahr kann ich dann endlich einmal am „Peter & Paul Spendenlauf“ von Peter Borsdorff teilnehmen, der bisher immer zur Zeit des Lappland Ultra stattfand (Glückwunsch Peter für das diesjährige Spendenaufkommen). Denn Ultra-Läufer bin ich ja jetzt!

Bedanken möchte ich mich vor allem bei Uwe für die hervorragende Reiseorganisation, Eddi für die Laufbegleitung, Horst für seine nette Gesellschaft, dem Veranstalter für die prima Organisation, den vielen Menschen an der Strecke für ihre Fürsorge und Herzlichkeit und auch bei meiner Frau und meinem Sohn, dass ich mit ihnen vorher ein wenig laufen durfte.

Danke!

Alle Bilder könnt ihr hier betrachten!

 

Bernd



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