Erlebnisbericht vom Lapplandultra (Adak, Schweden) am 30.6./1.7.2006

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Es ist nicht wie Urlaub, es ist Urlaub!

Alles hat angefangen, als Helmut mir mitteilte, er würde gerne 2006 die 100km von Adak laufen. Lappland in Sommer, es muss wunderschön sein. Ich entscheide mich auch dafür und Ende 2005 bin ich schon angemeldet. Anfang Januar wird der Flug gebucht: von Köln nach Stockholm und von Stockholm nach Lulea; dann nach Adak mit einem Mietwagen (es gibt nähere Flugplätze, aber es war im Moment der Buchung günstiger, in Lulea zu landen, und auf dem Weg nach Adak war auch ein beeindruckender Wasserfall zu sehen, was wir nicht verpassen wollten). Abschliessend machen wir 2 Wochen Urlaub.

Mittwoch Nachmittag (28.06) sitzen Vincent und ich in Aachen im Zug. Helmut, Martine und Bettina steigen später ein und wir fliegen zusammen nach Stockholm, wo wir uns trennen (sie werden auf einem anderen Flugplatz von ihrem Freund Reginald abgeholt). Donnerstag früh fliegen wir nach Lulea. Unterwegs nach Adak werden wir oft von Rentieren überrascht, die plötzlich auf der Strasse erscheinen. Im Laufe des Nachmittags kommen wir in Adak an. Wir haben für die drei ersten Nächte eine Hütte gemietet. Eigentlich haben wir ein richtiges Haus zur Verfügung mit allem, was man brauchen kann. Die Vermieterin hat sogar angeboten, für uns einzukaufen, da sie in die Stadt muss (in Adak gibt es keine Geschäfte).

Ruhe   Haus in Adak
Gemütlich auf der Terrasse des Häuschen

Mit 50 LäuferInnen ist beim Startnummerabholen natürlich kein Andrang. Die Leute von der Organisation sind sehr freundlich. Vincent will mich auf dem Fahrrad begleiten und wollte eins mieten. Nachdem ich meine Stoff-Startnummer in der Hand habe, wird ihm gesagt, dass der Fahrradverleih dieses Jahr nicht möglich ist (obwohl es per Mail geklärt gewesen war). Frau Johansson von der Organisation hat aber eine Lösung gefunden und Vincent das Fahrrad ihres Mannes geliehen.

Sylvie   vor dem Start
Vor dem Start

Helmut, Martine, Bettina, Reginald und Mariana kommen an. Wir wundern uns, dass bei der Tombola ein lebendes Rentier zu gewinnen ist. Wir geniessen die ruhige Atmosphäre. Vor dem Start treffe ich zufällig noch 3 Franzosen. Einer von ihnen ist Henri Girault in der AK M70, es ist sein 539. 100 km-Lauf! Respekt! Dann kommt der Startschuss um 22 Uhr. Ich laufe am Anfang mit Helmut und wegen meines Trainingsrückstands werde ich bestimmt irgendwann Probleme bekommen. Ich möchte gern 50 km laufen aber vor allem den Lauf genießen.
Heute sind Leute aus verschiedenen Ländern dabei: England, Finnland, Japan, Deutschland, Island, France... Und alle gut gelaunt!
Nach ein paar hundert Metern auf der Straße bildet sich eine Linie von LäuferInnen, je nach Anfangstempo. Viele Autos fahren vorbei, Leute aus der Organisation, die während des ganzen Laufs unterwegs sein werden, um sicherzustellen, dass alles gut geht, Begleiter, Familie, Freunde. Manchmal laufen wir links, manchmal rechts. Wir laufen dann auf einem Schotterweg, den wir erst bei ca. km 60 verlassen werden. Helmut und ich laufen den ersten km unter 5 Min. Ich muss mich bremsen. Das 10 km-Schild wird nach ca. 55 Min erreicht, eigentlich zu schnell.
Bei der 1. Verpflegungsstation trinke ich einen Schluck Wasser. Bei der 2. einen Schluck Iso. Dort sind viele Mücken versammelt und ich empfinde es unangenehm, da ich immer ihre Beute bin. Noch bin ich ruhig, weil der Mückenschutz wirkt. In der vorherigen Nacht wurde ich am Oberarm gestochen. Eine Schwellung von 5 cm Durchmesser ist schon sichtbar. Wieder eine Mückenstichallergie! Am Ende des Laufs ging die Schwellung bis zur Unterarmmitte und der Juckreiz wurde immer schlimmer. Sonst wurde ich während des Laufs nicht gestochen und habe nur bei km 35 noch mal das Mückenspray benutzt.
Wir sind nicht weit vom Polarkreis. Es wird in dieser Jahreszeit überhaupt nicht dunkel. Irgendwann sagt mir Helmut, ich solle auf die Uhr schauen. Es ist Mitternacht.

Sylvie und Helmut   Landschaft
Sylvie und Helmut an der Verpflegungsstelle und Mitternachtssonne

Ab km 30 werde ich deutlich langsamer und muss mich von Helmut trennen, der immer dasselbe Tempo läuft. Vincent bleibt bei mir, mit Video- und Fotokamera. Ich komme ins Gespräch mit anderen Läufern, die ich überhole oder die mich überholen. Mit nur 2 Marathons in den letzten 6 Monaten weiß ich, dass die Strecke mir lang erscheinen wird. Ich dehne schon bei km 35. Die Achillessehnen melden sich gar nicht, aber dafür die Muskeln, die nicht mehr wissen, was es ist, lange zu laufen.

Unterwegs warten Martine, Bettina und Mariana auf uns. Ich freue mich richtig, sie zu sehen. Wir wechseln ein paar Worte, ich habe es nicht eilig an der Verpflegungsstelle. Ich erzähle von meinen Problemchen, trinke und esse und laufe weiter, bevor die Mücken zu lästig werden.

nette Überraschung
Besuch an der Verpflegungsstelle: Bettina, Martine, Sylvie und die Mücken

Ab da trinke ich fast nur Bouillon, ich brauche etwas mit Salz. Es wird schwerer, aber ich genieße immer noch die Landschaft. Natur pur. Die Leute an der Verpflegungsstelle sind sehr freundlich. Bei manchen Stationen wird viel geredet, bei anderen weniger wegen der Sprache, aber immer ein Lächeln dabei.
Bei km 50 macht Vincent noch ein Foto. Ich sehe ziemlich müde aus. Langsam denke ich an Duschen und Schlafen, und das schon bei der Häfte! Ich werde bestimmt nicht mehr lange laufen können. Vincent motiviert mich, endlich etwas zu essen. Ich probiere es.
Endlich verlassen wir den Schotterweg, der mir unangenehm geworden ist. Wir sind auf der Straße und ich freue mich auf diesen Belag. Wieder gut gelaunt laufe ich die nächsten km. Wir erfahren, dass Reginald bei der nächsten Stelle in Slagnäs aussteigen wird. Derselbe Gedanke geht mir durch den Kopf. Aber ich laufe trotzdem weiter. Ich höre jetzt Musik mit meinem MP3-Player, sie hält mich wach. Ab und zu schließe ich die Augen, ich würde so gerne schlafen. In Slagnäs angekommen trinke ich ganz schnell einen Becher Cola und laufe weiter. Es wird immer schwerer loszulaufen nach einer Pause. 65 km sind vorbei. Es tut weh in den Beinen, am Fußknöchel. Jetzt kenne ich die Strecke, hier sind wir gefahren, um Adak zu erreichen. Ich erinnere mich noch an diese lange Straße mit dem See auf einer Seite und dem Wald auf der anderen. Es ist zwar sehr schön, aber plötzlich kommt es mir langweilig vor. Selbst gehen wird schmerzhaft. Ich will nur die nächste Verpflegungsstelle erreichen. Ich komme nicht mehr zum Laufen. Die Beine wollen nicht mehr, der Kopf will nicht mehr. Mir wird kalt, obwohl die Sonne scheint. Ich ziehe ein langärmeliges T-Shirt an. Aus der Ferne kann ich keine Verpflegungsstation sehen. Nach jeder Kurve schaue ich hoffnungsvoll, aber nichts und wieder nichts. Enttäuschung. War sie nicht bei km 68?
Sie war bei km 69.2 in Storbränna. Ich trinke wieder und setze mich. Vincent möchte mich gern motivieren, nach einer ausreichenden Pause weiterzulaufen, aber er ist eher der Meinung, es würde noch schlimmer und ich könnte mir dabei einen Ermüdungsbruch holen. Ich denke an gar nichts. Ich suche nur meine endgültige Entscheidung, ob ich weitermache oder nicht. Ich ziehe einen Schuh aus, um zu sehen, wieso der Knöchel so weh tut. Nichts zu sehen. Was nun? Pause und wieder loslaufen? Ich gehe ein paar Schritte bis zum Tisch. Der Bodenkontakt ist unangenehm. Eins ist klar: wenn ich weitermache, werde ich wohl irgendwann ein paar km wieder gehen müssen und das will ich nicht. Meine Entscheidung steht fest, ich steige aus.
Ein Mann ruft eine Kollegin an, die mit einem VW-Transporter herumfährt. Drin ist Platz genug. Trotzdem muss Vincent ein bisschen kämpfen, um sein Fahrrad hineinstellen zu dürfen. Für ein paar Sekunden finde ich es bitter, da zu stehen und in den Bus einzusteigen. Fast hätte ich es verweigert, aber andererseits war es mir vorher schon klar, dass man keine 100 km läuft mit so einem dünnen Lauftraining. Ich setze mich auf dem Rücksitz. Ich seufze und Vincent zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht: es war der logische Ablauf.

Sylvie bei km50   km70
Schon sehr müde bei km 50 und kurz vor dem Aussteigen bei km 70.

Auf dem Weg zurück nach Adak bin ich erleichtert. Wir fahren auf der Strecke. Ich merke wieder, wie der Weg unendlich scheint, obwohl ich im Wagen sitze. Die Fahrerin muss eine Pause machen (eine Freundin besuchen, nehme ich mal an). Sie kommt mit 2 Tüten zurück und fragt, ob wir das kennen. Es sieht wie Polarbrot aus, das wir im Supermarkt gekauft hatten und das ich als mein neues Lieblingsbrot bezeichnet hatte. Sie stimmt zu: "aber hausgemacht, viel besser!" und gibt uns eine Tüte. Wir überholen die Läufer, ich suche Helmut. Ich schätze, er wird bei km 90 sein. Als wir ihn überholen, winke ich ihm zu, aber er sieht mich nicht. Er ist auf dem guten Weg, unter 10h30 anzukommen. Es freut mich für ihn.
Endlich kommen die Dusche und die angenehme Massage. Ich schlafe fast, als Vincent hereinkommt, um mir mitzuteilen, dass Helmut im Ziel ist. Ich treffe sie alle im Frühstücksraum. Ausnahmsweise melden sich die Achillessehnen nicht, sondern der Knöchel. Ich esse immer noch nichts, ich bin müde und bald fahren wir nach Hause.
Später am Nachmittag habe ich Hunger und das hausgemachte Polarbrot schmeckt himmlisch. Ich denke noch an den Lauf: es war schön und ich bin echt froh, dabei gewesen zu sein. Es ist nicht wie Urlaub, es ist Urlaub!

 

Sylvie



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